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München in Zeiten des Kinis

Ludwig II. - des Märchenkönigs mystischer Abtritt - ein bayerischer Putsch

Zweite Lebenshälfte 1868 bis 1886 n. Chr.

Nur im Norden der Münchner Residenz, auf dem Dach des Festsaalbaus, ließ er von 1869 bis 1871 einen monumentalen Wintergarten (siehe Abbildung) in Form einer gewölbten, etwa 80m langen, freitragenden Eisen-Glaskonstruktion errichten, die damals als Wunderwerk der Technik galt. Sein Hofgärtener Carl von Effner durfte einen exotischen Landschaftsgarten mit einem kleinen Bach und 250qm großen See anlegte. Der Wintergarten glich einem künstlichen Tropenparadies mit einer Vielzahl exotischer Pflanzen: Orchideen, duftende Blumen-arrangements, Kakteen, Bananenstauden, Lianen, Bambus und Yuccapalmen. Auch die obligatorische Tropfsteingrotte mit Wasserfall, ein Maurischer Kiosk und ein indisches Fürstenzelt, mit kostbar geschnitztem Elefantenthron und riesige Panoramagemälde wurden eingefügt und in all dieser Exotik schwammen Schwäne, flogen grellbunte Papageien und stolzierten Pfaue umher. Da die Unterhaltskosten hoch waren und der See sowie die hohe Luft-feuchtigkeit den darunter liegenden Räumen sehr zu schaffen machten, wurde das orientalische Dschungelparadies leider nach dem Tod Ludwigs sofort zurückgebaut. Die Himalajalandschaft über dem Odeonsplatz wäre heute eine der größten Touristenattraktion Münchens.

1868 entwarf Ludwig erste Skizzen von Neuschwanstein, das bis 1884 gebaut wurde. Schloss Linderhof entstand von 1874 bis 1878 und wurde Ludwigs häufigst genutzter Zweitwohnsitz. Und schließlich wurde ab 1878 noch Schloss Herrenchiemsee als neues Versailles errichtet, aber nicht mehr fertiggestellt. Ludwig ritt förmlich der "Bauteufel" und er wollte noch viele weitere Projekte anpacken. Die Ruine der Burg Falkenstein sollte zu einer gigantischen, gotischen Ritterburg umgebaut werden. Ein riesiger byzantinischer Palast hätte bei Linderhof und ein chinesisches Sommerschloss am Plansee in Tirol entstehen sollen. Es ist sehr schade, dass Bayern diese weiteren Prachtbauten verwehrt blieben.

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Abbildung: Der Kini, im Alter von 35 Jahren in der Venus-grotte bei Schloss Linderhof, dargestellt von Munichkindl (2016), dahinter auf dem Falkenstein geplante historische Burg, nach dem ersten Entwurf von Christian Janks (1883)

König Ludwig II. widmete sich fortan in erster Linie romantischen Ideen und  begann ab 1868 seine Schlösser zu bauen. Nachdem seine Festspielhaus-Planung in München scheiterte, mied er die "unselige" Stadt als Bauplatz.

Von Zahnschmerzen geplagt unterzeichnete Ludwig 1870 den sogenannten "Kaiserbrief", von Otto von Bismarck entworfen, in dem er dem Preußenkönig Wilhelm I. antrug, Kaiser des Deutschen Reiches zu werden. Im Gegenzug zur Unterschrift erhielt Ludwig geheime Geldzahlungen aus dem Welfenfonds, die verschleiert über Schweizer Bankkonten transferiert wurden. Weniger die sechs Millionen Reichsmark, vielmehr die Unausweichlichkeit der Reichsbildung veranlassten damals Ludwig Bayerns Selbstständigkeit aufzugeben. Der Bayerische Landtag stimmte der neuen Reichsverfassung kurz darauf mit nur zwei Stimmen über der erforderlichen Mehrheit zu und beendete damit die Souveränität Bayerns - Finis Bavariae.

 

Ludwig entzog sich immer häufiger der Tagespolitik. Nur noch von Februar bis April hielt sich Ludwig im Nymphenburger Schloss und der Residenz auf und war den Rest des Jahres auf Reisen zwischen seinen weiteren Unterkünften, den drei Burgbaustellen, sowie elf abgelegenen Berghäusern und Jagdhütten. Ab 1871 war er kaum noch gesehen und verkroch sich fast gänzlich auf seinen Schlössern, wo er die Oberaufsicht über all seine Prachtbauten von Weltrang führte. Problematisch wurde es, als Ludwig damit begann, die Nacht zum Tag zu machen und zum "Mondkönig" wurde.

1875 überlegte er sogar seinem Bayern den Rücken zu kehren und sein Reich an einer anderen Stelle neu entstehen zu lassen. Ein von der Weltreise zurückgekehrter Abgesandter schlug Afghanistan, die Kanaren, Mallorca, Samoa, Somalia oder die westafrikanische Moskitoküste als mögliche Territorien für New-Bavariae vor. Ludwigs Hofsekretär konnte ihn jedoch von dieser Schnapsidee abbringen.

 

Dennoch blieb Ludwig bis fast zum Schluss politisch präsent. Anders, als vermutet, unterzeichnete er während seiner ganzen Regierungszeit Tausende von Dekrete und involvierte sich sogar in eher unbedeutende politische Angelegenheiten.

 

Mit Vierzig war er vom attraktiven Jüngling zum stark Übergewichtigen mutiert. Mit einer rechten Wampen, Mundgeruch und schlechten Zähne, ohne nahezu allen Vorderzähnen, zog er sich in den letzten Jahren fast gänzlich in seine Phantasiewelt zurück. Unter dem Spitznamen "Herr Huber" machten sich die Münchner  über ihn lustig. Man lachte über seinen weit ausladenden Schritt und seine g'spinnerten Ideen. Er ließ sich in Schwanenbooten durch künstlich illuminierte Grotten ziehen, führte nächtliche Ausritte und winterlichen Schlittenfahrten durch und ließ den Tisch immer für vier decken, obwohl er stets alleine aß. 

 

Er war schon ein schräger Vogel und da sich seine Schulden auf 20 Millionen summierten, mussten schließlich die Bauarbeiten an den Schlössern eingestellt werden. Während Ludwig um die Bewilligung weiterer Gelder kämpfe, leitete indes die Regierung mit seiner Entmündigung den Putsch ein.

 

Am 8. Juni 1886 wurde König Ludwig II. mittels einer Ferndiagnose (also lediglich aufgrund Aussagen Dritter) von Prof. Dr. Gudden für seelengestört, paranoid und an Geistesschwäche und Sozialphobie leidend, als unheilbar erklärt und tags drauf offiziell entmündigt. Die Regierung versuchen Ludwig bereits in der Nacht des 9. Juni festzunehmen. Doch dieser erste Versuch der Inhaftierung scheierte an der Unterstützung des königlichen Personals, der Feuerwehr und der lokalen Gendamerie. Nachdem die "Fangkommission" unverrichteter Dinge abgerückt war, schrieb Ludwig einen wütenden Brief an seinen Vetter, Prinz Ludwig Ferdinand: "Denke was Unerhörtes heute geschehen ist!! - Diese Nacht kam eilends einer vom Stallgebäude herauf und meldete, es wären mehrere Menschen (darunter horribile dictu) ein Minister und eine meiner Hofchargen in aller Stille angekommen, befahlen meinen Wagen und Pferde hier (von der oberen Burg) wegzunehmen hinter meinem Rücken und wollten mich zwingen nach Linderhof zu fahren, offenbar um mich dort gefangen zu halten... kurz eine schändliche Verschwörung! Wer kann nur hinter einem solchen Verbrechen stecken, Prinzregent Luitpold vermutlich....". Der erst 2016 aus Privatbesitz aufgetauchte Brief, war eine kleine Sensation, da er belegt, dass Ludwig nicht wie behauptet so geistesabwesend gewesen war, dass er selbst seine langjährigen Begleiter nicht mehr erkannte. Nachts am 11. Juni wurde Ludwig in Neuschwanstein dann schließlich doch in Gewahrsam genommen und morgens nun nicht nach Linderhof, sondern nach Berg bei Starnberg gebracht. Am Abend des 13. Juni traf sich Ludwig nach einem üppigen Abendessen mit Bier und fünf Gläsern Wein sowie zwei Gläsern hochprozentigem Palmsaft mit Prof. Gudden zum vereinbarten Abendspaziergang am Seeufer vor dem Schloss Berg. Als die beiden nach zwei Stunden noch immer nicht zurückgekommen waren, begann man nach Ihnen zu suchen. Gegen 23 Uhr entdeckte man die beiden leblos im Wasser treibend. Es scheint erwiesen zu sein, dass Ludwig II. aus dem Amt geputscht wurde. Wurde Ludwig nach dem Gefälligkeitsgutachten nun auch noch ermordet? Aufzuklären ist das heutzutage leider nicht mehr.

Rückblickend darf festgestellt werden, dass kaum ein König so mysteriös, menschenscheu und zurückgezogen lebte und gleichzeitig so sehr verehrt wurde (und immer noch wird) wie der "Kini". Obwohl er damals die Staatskassen belastete, hatte vor und nach ihm keiner eine lukrativere Einnahmequelle für Bayern geschaffen. Hätten wir unseren Märchenkönig nicht gehabt, wären wir um drei Schlösser ärmer  und hätten deutlich weniger Tourismus, denn alleine nach Neuschwanstein kamen schon über 60 Millionen Besucher.

Ludwig war vielleicht ein verträumter Grenzgänger im Irrealen, aber ein Irrer war er nicht! Dennoch hätte er als absolutistischer Mondkönig besser in frühere Jahrhunderte gepasst. Nicht vorzustellen, was er noch alles geschaffen hätte, wenn er schon damals mit einer bayerischen Gay-Community als Hofstaat seine Bautätigkeit hätte voll ausleben können. 

"Es ist schade, dass er Schrullen hat, es steckt viel in ihm«, sagte der Otto von Bismarck über Ludwig. "Die Welt wird ihr Urteil über König Ludwig bedeutend ändern, wenn man nicht nur seine Kunst-schöpfungen bewundert, sondern auch in seine staatsmännische Korrespondenz Einsicht nehmen kann."

Während Ludwigs Regierungszeit verdoppelt sich fast die Münchner Einwohnerzahl von etwa 140,000 (1864) auf exakt 261,981 Einwohner (1885) und erstmals sind die gebornen Münchner in ihrer Stadt in der Minderheit.

 

Einige Münchner Unternehmen werden gegründet: 1861 Ludwig Beck am Rathauseck, 1866 das Hotel Königshof am Stachus, 1869 die Bayerische Vereinsbank sowie die sog. "Dachauer Bank" der Adele Spitzerer, und 1881 der Hacker-Bräu.

 

Verglichen mit dem Bauboom unter Ludwig I. tut sich  bautechnisch fast nix. Lediglich das Gärtnernplatz-Theater wird 1865 eröffnet und das Neue Rathaus entstand. 1866 entscheidet sich der Magistrat mit 11 zu 10 Stimmen für den Rathaus-Entwurf von Georg Hauberrißer. Im August des nächsten Jahres wird der Grundstein gelegt und es wird bis 1874 fertiggestellt. 1876 wird der Schlacht- und Viehhof von Zenetti gebaut und 1877 die erste öffentliche Bedürfnisanstalt aufgestellt.

 

Auch die Wiesn entwickelt sich damals vom Pferderennen zum Volksfest mit allerlei Belustigung. 1867 ist die Familie Schottenhammel erstmals als Wiesnwirt vertreten (das Zelt, in dem seit 1950 der alljährliche Wiesn-Anstich stattfindet), 1869 kommt Michaela August Schichtl mit seinem Varieteetheater auf die Wiesn, 1879 wird der Steyrer Hans Wiesnwirt und nachweislich ab 1885 ist Josef Ammer mit der ersten Hendlbraterei vertreten.

Abbildung (links): Das berühmte letzte Foto von Ludwig II. im Alter von 41 Jahren; daneben Foto mit dem Schauspieler Josef Kainz mit und ohne Arm auf des Königsstuhl, 1881

Abbildung (oben): Gemälde/Fotografie und Kupferstich vom Winter-garten auf der Residenz, ab 1897 zurückgebaut; Ludwig im Kampf mit Prof. Gudden im Würm-see / Postkartenmotiv, um 1886

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